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Vorschläge zur Novellierung

Vorschläge zur Novellierung der Soziotherapie-Richtlinien (1)

(1) Entnommen aus dem Schreiben des BV vom 9.9.2008 an den Gemeinsamen Bundesausschuss

Bestimmung der Krankheitsbilder (gemäß § 37a Abs. 2 Ziff.1)
Die Einengung des Patientenkreises gemäß Ziffer 9 der Richtlinien ist praxisfern und zielverhindernd. Die vor allem in Niedersachsen und Berlin zahlreichen Projekte der Integrierten psychiatrischen Versorgung gemäß §§ 140 a-d SGB V zeigen eindrucksvoll, dass Soziotherapie bei allen psychiatrischen Erkrankungen hervorragende Koordinierungsaufgaben übernimmt und wesentlich dazu beiträgt, dass stationäre Behandlungsphasen entbehrlich werden. Bezeichnenderweise haben die bei diesen Projekten beteiligten Krankenkassen keinerlei Bedenken gezeigt, die Soziotherapie auf breitester Ebene und damit bei allen psychiatrischen Indikationen aktiv einzubeziehen und zu vergüten. Die Begleitforschung hat auch nicht den geringsten Aspekt bisher herausgearbeitet, der auf eine Einschränkung der Wirksamkeit von Soziotherapie bei bestimmten psychiatrischen Indikationen schließen ließe. Wenn somit Soziotherapie bei allen Indikationen Krankenhausaufenthalte vermeiden bzw. verkürzen hilft, dann sollte sie auch bei allen psychiatrischen Erkrankungsbilder eingesetzt werden können.

Wir schlagen daher statt der bisherigen Regelungen vor, für die Soziotherapie-Richtlinien die Formulierung der Vereinbarung für die Institutsambulanzen gemäß § 118 Abs. 2 Ziffer 3 SGB V vom 1.4.2001 heranzuziehen. Danach würde sich folgender Text ergeben:

„Der Behandlung von Soziotherapie bedürfen Personen, bei denen einerseits in der Regel langfristige, kontinuierliche Behandlung medizinisch notwendig ist und andererseits mangelndes Krankheitsgefühl und/oder mangelnde Krankheitseinsicht und/oder mangelnde Impulskontrolle der Wahrnehmung dieser kontinuierlichen Behandlung entgegen stehen.

Langfristige, kontinuierliche Behandlung ist indiziert bei psychischen Krankheiten mit chronischem oder chronisch rezidivierendem Verlauf. Dazu gehören insbesondere Schizophrenien, affektive Störungen und schwere Persönlichkeitsstörungen, ferner auch Suchtkrankheiten mit Komorbidität und gerontopsychiatrische Krankheiten.

Der Behandlungsbedarf durch Soziotherapie besteht auch, wenn der Kranke in der Vergangenheit eine notwendige Behandlung nicht aus eigenem Antrieb in Anspruch genommen hat, oder die notwendige kontinuierliche Behandlung nicht stattgefunden hat, also eine Symptombesserung und soziale Stabilisierung nicht gelungen ist. Das ist in der Regel der Fall, wenn in der Vergangenheit mehrere Krankheits-Exazerbationen oder –Rezidive auch mit Hospitalisierung stattgefunden haben.

Im Einzelfall kann Soziotherapie auch bei Ersterkrankungen oder Erkrankungen von erst kurzer Dauer indiziert sein, wenn zur Vermeidung einer stationären Aufnahme oder bei der geplanten Entlassung aus stationärer Behandlung die o.g. Kriterien der Schwere der Erkrankung insoweit erfüllt sind, dass mit Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass der Kranke die medizinisch notwendige, kontinuierliche Behandlung nicht wahrnehmen wird.“

Eine über diese Formulierungen hinausgehende Definition des Patientenkreises, beispielsweise mit Bezug auf die GAF-Skala, trägt solange nicht zu einer Verbesserung der Behandlungssituation bei, wie die Überweisung aus dem ambulanten Behandlungssetting in den stationären an keine entsprechenden Kriterien gebunden ist. Wir befinden uns trotz der gesetzlichen Entwicklungen der letzten Jahre immer noch in der Situation, dass insbesondere durch die sehr einschränkenden Vergütungsregelungen für den ambulant tätigen Facharzt die ärztliche Versorgung ohne den begleitenden Einsatz von Soziotherapie und ambulante psychiatrische Pflege gemäß § 37 SGB V nicht in der Lage ist, Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen ambulant zu behandeln. Ihnen bleibt nur die stationäre Behandlungsform. Es ist daher in der derzeitigen Situation nur konsequent, dass die Einweisung in die stationäre Behandlung keiner Beschränkung unterliegt.

Alle Versuche, die Behandlung der schweren psychischen Erkrankungen im berechtigten persönlichen Interesse der Patienten und im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der Krankenkasse stärker in die Verantwortung der ambulanten Ärzte zu geben, werden solange ergebnislos bleiben, solange dem ambulant tätigen Arzt der Einsatz von Soziotherapie und ambulante psychiatrische Pflege erschwert wird, weil es an entsprechenden Leistungserbringern fehlt und weil er die mit diesen Partnern zu erbringenden Kooperationsleistungen nicht angemessen vergütet bekommt. Erst wenn diese aktuelle Aufgabe bewältigt ist, kann in einem zweiten Schritt der Übergang von der ambulanten in die stationäre Behandlung sowie Randfragen wie die Abgrenzung zwischen niedergelassenem Arzt und Institutsambulanz in eigenen Richtlinien geregelt werden.

Bestimmung der Ziele, des Inhalts, des Umfangs, der Dauer und der Häufigkeit der Soziotherapie gemäß § 37a Abs. 2 Ziff. 2 SGB V
Die unter Ziffer 1 der Richtlinien genannten Ziele der Soziotherapie bedürfen aus unserer Sicht eines Hinweises auf die unter Ziffer 13.3 als komplementäre Dienste bezeichneten sozialtherapeutischen Leistungserbringer. Dies könnte durch eine kleine Erweiterung des Satzes 2 des Absatzes erfolgen (die Ergänzungen sind durch kursive Schrift kenntlich gemacht):

„Soziotherapie nach § 37a SGB V soll ihnen die Inanspruchnahme ärztlicher, ärztlich verordneter und sonstiger (ärztlich indizierter) sozialtherapeutischer Leistungen ermöglichen.“

Benötigt der Patient beispielsweise für seine Stabilisierung für längere Zeit eine Tagesstruktur, so kann diese ambulant weder über Soziotherapie noch durch ambulante psychiatrische Pflege gesichert werden. Regional stehen jedoch sehr oft Tagesstätten für psychisch behinderte Menschen zur Verfügung, zu deren Angeboten der Patient motiviert werden muss. Dies ist eine wichtige Aufgabe der Soziotherapie: die sozialtherapeutischen Angebote kennen, Zugangsmöglichkeiten eröffnen und den Patienten in enger Absprache mit dem Facharzt zu unterstützen, die für ihn bedeutungsvollen Angebote tatsächlich in Anspruch zu nehmen.

Auf diese Weise lassen sich regional systemübergreifende Netzwerke entwickeln, bei denen sich die vorhandenen Dienstleistungen im Interesse der Patienten gegenseitig ergänzen.

Die bisherigen Ziffern 5 und 6 der Richtlinien sollten stärker die Patientensituation in den Blick nehmen, die von wichtigen Bezugspersonen im Lebensumfeld des Erkrankten mitgestaltet wird. Außerdem verfügt jeder Patient, insbesondere wenn er zur Krankheitseinsicht gekommen ist, über eigene persönliche Behandlungsstrategien, deren aktive Nutzung dem Behandlungserfolg nur dienlich sein kann. Da der Soziotherapeut durch seine aufsuchende Tätigkeit umfassende Wahrnehmungsmöglichkeiten in die Lebenssituation des Patienten bekommt, seine Bezugspersonen kennenlernt, seine typischen Umgangsweisen mit seiner Erkrankung erfährt, eröffnet sich ihm ein zusätzliches Handlungsfeld, dessen Einbeziehung in das ärztliche Handeln erreicht werden sollte.

Wir schlagen daher vor, die beiden Absätze wie folgt zu formulieren:

„5. Soziotherapie umfasst die Koordination der im Rahmen des ärztlichen Behandlungsplans festgelegten Maßnahmen. Sie bezieht alle krankheitsrelevanten Lebensfelder und die Selbststabilisierungskräfte des Patienten sowie die Unterstützungsmöglichkeiten seiner Bezugspersonen (beispielsweise Lebenspartner, Angehörige, Kollegen) mit ein.

6. Soziotherapie unterstützt einen Prozess, der dem Patienten und seinen Bezugspersonen einen besseren Umgang mit der Erkrankung und dem Arzt eine bessere Kenntnis der Ressourcen seines Patienten und dessen Umfeldes ermöglicht.“

Die bisherigen Ausführungen zu den Inhalten der soziotherapeutischen Leistungen sind in Ziffer 13.2 entsprechend unseren Vorschlägen für Ziffer 1 um die ärztlich indizierten sozialtherapeutischen Leistungen zu ergänzen. Der erste Satz von Ziffer 13.2 sollte daher lauten:

„Der soziotherapeutische Leistungserbringer koordiniert die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung, verordneter sowie weiterer (ärztlich indizierter) sozialtherapeutischer Leistungen.“

Die bisherigen Regelungen zum Leistungsumfang erscheinen zwar auf den ersten Blick eindeutig, sie haben dennoch in vielen Fällen zu den unterschiedlichsten Auslegungen geführt. Insbesondere der Begriff „Krankheitsfall“ in Ziffer 17 scheint von vielen Leistungserbringern wie Krankenkassen nicht verstanden worden zu sein. Leistungserbringer übersehen bei Patienten mit einer chronifizierten psychiatrischen Erkrankung, dass deren Verlauf starken Schwankungen unterliegt, die nur teilweise von Soziotherapie begleitet werden können. Soziotherapie bleibt denjenigen Krankheitsphasen gewidmet, bei denen eine intensive Zuwendung notwendig ist, die ansonsten nur im stationären Setting zur Verfügung stände. Soziotherapie ist daher während ruhigeren Krankheitsphasen einzustellen. Der „Krankheitsfall“ ist zu beenden und erst dann neu zu beginnen, wenn eine krisenhafte Zuspitzung vom Arzt festgestellt wird, die wieder einer intensiveren Behandlung bedarf.

Krankenkassen missverstehen den Begriff „Krankheitsfall“ oft als „Versicherungsfall“. Danach hätte der Patient nur einmal im Leben die Möglichkeit, bis zu 120 Stunden innerhalb von 3 Jahren Soziotherapie zu erhalten. Auf diesen Irrtum werden die Kostenträger nicht einmal aufmerksam, wenn nach der Einstellung von Soziotherapie durch vermehrte stationäre Klinikaufenthalte die ambulant fehlende intensive Behandlung sichergestellt werden muss.

Die Richtlinien sollten daher unter Ziffer 17 den Begriff „Krankheitsfall“ noch deutlicher definieren. Unser Vorschlag wäre:

„Unter einem Krankheitsfall im Sinne dieser Richtlinie ist eine zeitlich begrenzte Phase der Behandlungsbedürftigkeit bei einer der in Abschnitt II aufgeführten Indikationen von bis zu drei Jahren zu verstehen. Bei Krankheiten mit chronischem oder chronisch rezidivierendem Verlauf können mehrere Behandlungsphasen bis zu einer Phasendauer von jeweils maximal drei Jahren Dauer notwendig werden.“